Einblick und Ausblick auf die Gespräche 2017/2018 ab November 2017

Einblick:

Wir haben drei größere Projekte bearbeitet:

1. Wir haben die Frage gestellt: Ist eine Aufklärung aus den eigenen Grundlagen des Islam möglich?

Das Ergebnis war positiv, allerdings mit der Einschränkung: Die herrschenden Priesterkasten und leitenden Eliten leben von der erstarrten Dogmatik und tun viel, um ihre Machtposition zu bewahren, bzw. nicht durch Aufklärung zu gefährden. Mit der sog. ‚Schließung des Tores‘ im Mittelalter ist die philosophische Sinnstiftung im offiziösen Diskurs verschwunden. Die islamische Philosophie überlebt im Grunde in der Rezeption des scholastischen Mittelalters.

2. Diese Erkenntnis war Anlass, uns mit der philosophischen Grundlegung des Christentums zu beschäftigen. Schwerpunkt war die Dogmatisierung im ‚Nicänum‘ und die Theologie des frühen Thomas von Aquin in seinen „Bekenntnissen“. Hegel macht in seinen Vorlesungen einen interessanten Hinweis, indem er zeigt, dass die Trinitätslehre weiteste Folgen hatte für die Dialektik und den Aufbau der dreiteiligen Philosophiefelder (Erkenntnistheorie, Ethik, Ästhetik). Dem sind wir nachgegangen.

3. Für die Philosophie als Ausdruck eine Krisenzeit bot sich die Renaissancephilosophie im Spiegel ihrer Kunst an. Wir haben Shakespeares ‚Kaufmann von Venedig‘ und Dürers ‚Melencolia I‘ als Echoraum für die Philosophien Ficinos, Picos ,Cusanus‘, Brunos, Agrippas, Fludds u. a. genommen.

Zu unserem Erstaunen ergab sich unsere Renaissancevorstellung als Klischee: Das ‚Heitere‘, die harmonische Schönheit, das Lebensglück, waren Folien einer tiefen Krise. Neben Huttens „Es ist eine Lust zu Leben“ steht Sebastian Francks Weltangst und seine apokalyptische Untergangsvorstellung eine Zeitalters. Die Elisabethaner empfinden sich als Figuren auf dem Welttheater, gespielt vom Glück, der Fortuna; zugleich ist ihnen die scholastische Weltordnung und Kosmologie verloren gegangen: Der Weltverlust zeigt sich in der Pose der Eliten als Melancholiker. Am Hofe spielt man seine Rollen, doch das „Selbst“ bleibt höchst unsicher, ja bis zu den Genderfragen fließend und dunkel. Hamlets „to be or not to be“ ist eine Frage des Zeitalters. Fluchträume für die abgelebten Ideologien sind die modernisierten und ‚moralisierten‘ antiken Mythologien, die als Narrative einen Raum zur Selbstverständigung der Eliten beitragen. Die Bilder sind „ Poesien“ (Tizian), welche der ‚Kenner‘ mit seines gleichen ausdeutet, um einen ideologischen Boden zu gewinnen. Die alte Kosmologie war in der ’Unendlichkeit der Welten‘ (Bruno) verloren gegangen. Die neue Maschinenideologie Newtons und Descartes stand noch nicht zur Verfügung. Was wir heute etwa in Florenz sehen, sind symbolische Kultstätten kultivierter Insider, die als Kulissen den Abgrund verbergen.

 

Ausblick:

Wir haben dann Kans berühmte vier Fragen (ergänzt um die Frage nach der Kunst) an die Elisabethaner gestellt: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?“ Plus: „Was leistet die Kunst ?“(nach Kants ‚Kritik der Urteilskraft‘). Das Ergebnis bieten wir hier...

In einem ‚Philoworkshop‘ am 1. März 2018 wollen wir diese Fragen an unsere Zeitlage   richten. Ein Probespiel hat ergeben, dass man ein interessantes Zeitprofil erhält.

 

 

‚Was leistet die Kunst‘ heute?

Im Arbeitskreis Philo-Zirkel der ‚Patriotischen Gesellschaft‘ haben wir drei Trends in der ästhetischen Kultur der Gegenwart ausgemacht. Ausgangspunkt war Adornos Ästhetik (Th.W. Adorno: ‚Ästhetische Theorie‘, Ges. Schriften 7, Suhrkamp 1970).

 

Trend 1: Die Ästhetik der traditionellen, ‚informierten‘ Kultur.

Die Formulierung ‚informiert‘ leitet sich ab aus der Aufführungspraxis der Musik, die den Kontext der Klänge der Vergangenheit in die Rezeptionskultur der Gegenwart überführt.

Für diese Kunstrezeption gilt: „Das Kunstwerk reißt uns weg“ (Goethe) und gibt uns eine Vergewisserung höherer, ‚reiner Menschlichkeit‘. Adorno schreibt, Kunstwerke haben etwas „ Momentanes, Plötzliches.“ „Das Gefühl des Überfallenwerdens im Angesichts jedes bedeutenden Werks registriert das.“ (S. 123) Und weiter: „Geist in den Kunstwerken ist kein Hinzutretendes, sondern von ihrer Struktur gesetzt.“ Allerdings gilt auch: Sie sind „samt der Objektivität ihres Geistes ein Gemachtes.“(274). Hegel macht diese Dualität in seiner ‚Ästhetik‘ als Dialektik aus: Kunst liefere das „sinnliche Scheinen der Idee.“

Die traditionelle, informierte Kultur hat keine Angst vor dem „Geist“. Sie steht zu seiner Wirkung: Ihre ästhetische Offenbarung leistet eine Wandlung der Wirklichkeit, auch des Elends dieser Welt, in eine Imagination und Transzendenz, die man mit ‚Geist‘ benennen kann, jedenfalls eine ‚Erhebung‘ aus der alltäglichen Welt. Die ‚Parusie‘ (‚Geistanwesenheit‘) z.B. tritt ein, wenn Streichquartett und Zuhörer gemeinsam atmen. Allerdings gehört dazu das ‚Informiert-Sein‘, sonst kann man nicht im Erlebnisraum die Verschränkung von formaler Aufführungskultur und Autoreflexivität des Werkes aktiv erfahren.

Die Kunst als Bild, Text, Musik oder Sprechtheater der ‚Moderne‘ ist konzentrisch. Der Quell ihrer Suggestion, ihr ‚Sog‘, das „Mitreißende“ (Goethe) liegt im Werk und schafft seine ‚Aura‘. Die Gestaltung ist autoreflexiv. Die affektive Berührung wird geistig kontrolliert. Der Betrachter bleibt ruhig. Die Uhrzeit wird ‚Verlaufszeit‘. Während der Kunsterfahrung schaltet sich die Verlaufszeit aus. Künstler werden in ihre Epoche gestellt und gesehen. Das ‚informierte‘ Publikum ist körperlich still, aber höchst aktiv in der Zuwendung und erlebt innerlich eine vibrierende Korrespondenz mit der Kunstwirkung. Erst aus beidem, Werk und Publikum, konstituiert sich das ästhetische Ganze. Das emotionale Erlebnis ist zugleich eine Geistigkeit, die durch die Form vermittelt wird. Die Begegnung mit dieser Kunst ist wiederholbar. Die Kunst hat einen hohen Wiedergebrauchswert. Der Umgang mit ihr setzt Übung und Verständnis voraus. Das Publikum kennt die Tradition und kann die Dissonanzen in der Fortentwicklung der Normen verstehen und kritisch begleiten.

Diese ‚traditionelle‘ Kunst ist immer von einer ‚Avantgarde‘ begleitet, welche die ‚Dissonanz‘ als notwendigen Raum der Kunsterfahrung fordert. Die ‚Sezessionisten‘, provozieren ihre ‚Skandale‘ innerhalb einer polaren Gegnerschaft zur Tradition, aber im Hinblick auf die Grundformative dieser Tradition. Darum werden sie nach ihrer Akzeptanz irgendwann historisch und wiederum von neuen Avantgarden herausgefordert. Dieses Wechselspiel führt zu einer stetigen Erweiterung der ästhetischen Komplexität dieser Kunst.

Diese Kunst diente auch immer als Repräsentation von Macht und Sozialstellung; die Adelsbourgeoisie trägt die feudalen Reste in die Opernhäuser; die Theater werden zu Ersatzpalästen, in welchen das Bildungsbürgertum seine soziale Alleinstellung feiert. Die Aura einer verständigen Elite umgibt diese Gruppen, zu denen gerne auch ‚Massen‘ gehören wollen, die dann das Museum als Eventpalast benutzen oder die ‚Elbphilharmonie‘ betreten wie ein Kino oder einen Zirkusraum. Geht die ‚Informiertheit‘ zu Grunde, schlägt die Avantgarde in „Event“ um, und die traditionelle Kultur wird museal. Diese Gefahr ist sichtbar. Die schwache Grenze und die Gefahr des Umschlags zwischen Sprechtheater und Eventkultur tritt symptomatisch in Erscheinung im Kulturstreit um den Rücktritt des Intendanten der Berliner Volksbühne, Chris Dercon. – Das Wechselverhältnis zwischen Eventkultur und der populären ‚Song‘-Kultur blieb außer Betracht.

 

Trend 2: Eventkultur

Adorno: „Unter den Schwierigkeiten von Kunst heute ist nicht die letzte, dass sie der apparition sich schämt.“ (S. 127)

Diese ‚Scham‘ vor dem Geist in der Kunst, die Angst vor dem Erlebnis einer Transzendenz, führt zur eigenen Entkernung und lässt eine innere Leere zurück. Diese Leere füllt die Peripherie; der ‚Beifang‘ wird zum Sinnstifter; und weil er wörtlich ‚sinnlos‘ ist, flüchtet die Eventkultur einerseits ins Absurde, in den ‚Angst-Schrei‘, oder in den Zirkus. Andererseits sucht sie das gegebene Format (Theater, Konzert, Kunst-Museum) mit anderen Formaten zu überblenden (Kino, Beamer, Lautsprecher, Mikrophone, Filmstills, Design-Maschen). Die Überdehnung des Formats schlägt auf die Performance zurück: Die Überblendung der Formate führt in den Verblendungszusammenhang ihrer Performance: Das Publikum soll die Hohlheit als Fülle begreifen.

Die Ästhetik der Eventkultur ist nicht die konzentrische Orientierung auf das geschlossene Werk, sondern ihre Orientierung richtet sich auf die Peripherie. Der Apparat verschluckt den Quellpunkt des Werkes. Statt Bilder stellt man z.B. ihre Rahmen aus: Der ‚Beifang‘ (Rahmen) wird zum ‚Hauptfang‘. Die Inszenierungstechnik und der Kurator, bzw. der Regisseur oder die Großauktionatoren machen die Schauspieler, Performer, Bilder und Künstler und die Inhalte zum ‚Beifang‘ ihrer Ideosynkrasien und zum Werkzeug der Kapitalisierung. Administratoren, technische Weiser, Bewegungsaufträge bestimmen die Nutzung. Das Nebengeräusch wird zur Musik; die ‚Location‘ (Pavillon ,Biennale, Palazzo) wird zum Bedeutungsträger. Das leere Zentrum wird mit der Katalogmasse gefüllt.

Spindoktoren schneiden aus auratischen Texten mit ‚Großen Namen‘ Zitate aus und stellen sie als unvermittelte Sinnstifter zusammen. Musikfetzen der ‚Klassik‘ füllen unverbunden die Monolog-Nummern. Alles, was in der traditionellen Kultur als Gipfel der Kunst gilt, wird eingebaut, um die Leere zur füllen. Die ‚Aura‘ der Tradition wird zum ‚Fake‘ und durch den Gebrauch zugleich zerstört. Die Absurdität der auf diese Weise inszenierten Absurdität schlägt auf sich selbst zurück. Weil die Eventkultur sich als Avantgarde geriert, die traditionellen Avantgarden aber nicht mehr kennt, hat sich das Regietheater der Dekonstruktion in die eigene Dekonstruktion verwandelt. Krach, Geschrei und Neo-Dada-Effekte sind dafür nur Anzeichen. Wie die traditionellen ‚Avantgarden‘ braucht die ‚Dekonstruktion‘ die Kenntnis des Werks, das dekonstruiert werden soll. Sonst fällt der Skandal aus. Mittlerweile ist das ‚informierte‘ Publikum ausgefallen. Die Provokation schafft Langeweile und führt zur Verabschiedung vieler Abonnenten.

Den tieferen Grund für die Geistfeindschaft und Lust an der Selbstvernichtung nennt schon Adorno in seiner ‚Ästhetik’ von 1969 (S. 123): „Die moderne Kunst“ habe die ‚Aura‘ tabuisiert. „Unter diesem Aspekt bestimmt sich die Entkunstung der Kunst nicht allein als Stufe ihrer Liquidierung, sondern als ihre Entwicklungstendenz.“

Geld wird Repräsentant für den in Großauktionen immer unwichtigeren Kern. Der ‚Beifang‘, die enorme Kaufsumme, übersteigt bei weitem die Aura des Werks. Die Auktion wird zum Affektsaal für Superreiche. Die Monetarisierung der Kunst ästhetisiert das Kapital.

Die Artefakte der Eventkultur verlangen ‚Dabei-sein‘ als Erlebnisaustausch einer Gesellschaftsschicht, die die Peripherie bezahlen kann. Eine ‚Müdigkeitsgesellschaft‘ erlebt ihr ‚Burnout‘ im Klinikum Theater, wenn man den Inszenierungen folgt. Eine ‚unbehauste‘ Erlebniskohorte flüchtet in den Erlebnispark. Die Regie wird von der Steuerung der Jugendkohorten längst überholt: Die Regisseure und Kuratoren verwalten das Gestern; von heue sind die „Influencer“, welche die Instagram-Massen als Follower binden. Instagram wird zur neuen ‚Obsession‘. Die Pose der Eventkultur setzt immer noch ideologisches Interesse voraus: Freude an der Destruktion, an ‚Anarchismus‘, Dada und Transgressivität und am Elitetreffen in der schicken, realen Welt. Doch ihre ‚Anti-Gesten‘ (Kolonialismus, Faschismus, Ethno-Rassismus, Finanzkapital, Ausbeutung) sind Theater, dessen Apparat und die Schauspieler gerade vom Kapital bezahlt werden. Damit wird die Pose Zynismus. Der Karneval der Kulturen schafft ästhetisch bestenfalls den Selbstgenuss als Entlastung von sozialer Schuld.

 

Trennt 3: Die Kontakt-Kunst

‚Games-Förderung‘ wird staatlich betrieben. Spielekonsolen, Smartphones und Computerspiele gehören zum modernen „Medien-und Kulturbereich“: die Grenzen sind gefallen. Der Markt hat die 3-Milliarden-Marke erreicht. ‚Gamer‘, Orchester und Theater kämpfen um die Subventionen. Die neuen Regisseure sind ‚Researcher‘ und ‚Speculative Designer‘, sie schaffen ‚Creativity in the New Currency‘. Das neue Formativ wird gut benannt mit der Wendung: „ Moving from Passive Observation to Active Immersion.“ (Vgl. ADC-Kongress 18./April 2018, ‚Zeitung zum ADC-Festival‘,S. 14). Harald Szeemanns Museum der ‚Obsessionen‘ (Documenta 5,1969) ist zum virtuellen Raum geworden. Der Slogan von damals: „When Attitudes Become Form“ ist eine Vorausdeutung auf die Formative der Kontakt-Kunst, in der VR-‚Hüllen‘ für ‚Attitudes‘ stehen, die nur noch sie selber sind. Die ‚Gamer‘ brauchen ein große Hülle aus Apparaten. Wiesen, Grillparty und Sonne fallen aus.

Immersion‘ ist die Umhüllung der User mit einer Peripherie, die man sich im Kontakt per ‚Klick und Wisch‘ individuell überzieht. Multifunktionsarenen ersetzen den Erlebnispark. Lan-Parties mit über 15 000 Zuschauern bedienen eine Hackerkultur der Traumvisionen.

Der ‚Halo-Effekt’ der Apparate ist die ‚digitale Aura‘ der Medien: die Peripherie umfängtdie User wie eine psychische Hülle und wird zum Körperkorsett für den Verlust des stabilen Ichs. Die Unterwerfung der User unter die Peripherie ist die wichtigste Größe in der Attraktionsleistung der Kontakt-Kunst: Im Avatar lebt das ‚unbehauste‘ Kollektiv wieder auf. Die alten Kriegsepen, Homers Ilias, stehen auf in den Mythen der Cyborgs, die als Helden die ‚Apparition‘ bringen, welche im Alltag den Usern verloren gegangen ist. Der Rollenwechsel zwischen virtuellem Ersatz-Ich und realer Person wird zum Genuss; ein Selfie kann mein Dasein beweisen. Was sich bildet, sind ‚Gefühlscluster‘ als ‚Emotika‘: Diese ,Erlebniskonfigurationen‘ werden zum Selbstgenuss generiert, zum Gefühl des ‚like‘. Indem man auf der Screen ‚wischt‘, entsteht über die Berührung ein Kontakt, der suggeriert, er sei physische Gegenwart.

Das Typische der Kontakt-Kultur ist die völlige Überflüssigkeit komplexer Gedankenbildungen; die Addition der SMS-Sprache, das ewige ‚und‘ der Algorithmen genügt. Weil aber jedes Bild das vorhergehende im Gehirn auslöscht, besteht eine stetige Kontakt-Lust, um im Spiel zu bleiben, bzw. das eigene Ich zu wahren. Das Geschäftsmodell fördert die Sucht und damit den kommerziellen Gewinn.

Die Kontakt-Kunst hat sich schon länger vorbereitetet in der Eventkultur. In der Pop-Art sind die Immersionen lange üblich. Jeff Koons lässt in seiner Serie ‚Gazing Balls‘ die Betrachter sich in den Kugeln spiegeln und ihren Glanz als nekrophilen Schein genießen . Auratisch aufgeladen wird die Ausstellung in Amsterdam mit Peruginos ‚Madonna mit Kind‘. Das Publikum wird in der Spiegelung ‚Gazing Balls‘ Teil des Kunstwerks. –Die Kontakt-Kultur erobert auch die Opernhäuser: Smarthones instrumentieren den Opernbesuch ( in Wuppertal). Die Oper „ wird ein vergnügungsparkähnliches Event zum Anfassen.“ (M. Hemmerich, FAZ, 24.4. 18

Die Apparate-Hüllen als Peripheriebilden ihreneigenen Kosmos, wobei der Makrokosmos die Apparate sind, der Mikrokosmos die Netzperson. Engel, Gott und Geister erscheinen wie im Barockhimmel, nun im VR-Paradies. Die ‚Erlösung‘ dauert aber nur solange, wie die Peripherie eingeschaltet ist . Nach ihrer Ausschaltung taucht im Dunkel der Realität ein verdrängter Totentanz auf.

Die Kontakt-Kultur ist ‚präsentisch‘; ein neues Bild bringt das vorherige zum Erlöschen. Die Sucht zum Wischen und Klicken ist eingebaut. Magie, Suggestion, Ekstasen der eigenen Größe verbergen die Lust an der Unterwerfung unter die Kontrolle der Apparate. Die atomisierte Kohorte der User empfindet sich als „Wir“, und ist entgeistert, wenn das ‚Du‘ in der Realität nur eine Maschine ist. Spaß beim Schießen und Schularbeiten gehen per Teamfunk von Spieler zu Spieler. ‚Ego-Shooter‘ ist ein trefflicher Begriff für die Lust am virtuellen Töten: Man baut sein unsicheres Ego im Überlebenskampf der ‚Hunger Games‘ zu ungeahnter Größe auf. Wer wird da Dichtung suchen, Musikinstrumente üben, ins Theater gehen, wenn er den „Call of Duty“ (so ein Spieltitel) rufen hört. - Hier steht nicht einmal mehr eine ‚Angst‘ vor der ‚Geistigkeit‘ im Sinn der „apparition“ Adornos im Hintergrund. Das ‚Nichts‘ wird als virtuelle Vision erlebt.

Adornos Feststellung: „Geist in den Kunstwerken ist kein Hinzutretendes, sondern von ihrer Struktur gesetzt“ (S. 274), wird in der Kontakt-Kunst zu Makulatur.

 

(Ergebnis des Halbjahresgesprächs 2018. Zusammenfassung: Dr. Reinhart Schönsee, Sprecher des Arbeitskreises ‚Philo-Zirkel‘)