Anmerkungen zum aktuellen Gespräch im Philo-Zirkel

Von Reinhart Schönsee, Sprecher des Arbeitskreises

 

Das lebendige, philosophische Gespräch vollzieht sich im Dialog und im Antlitz des Gesprächspartners. Darum fiel unser Arbeitskreis während der Pandemie aus. Ich möchte einige methodische Anmerkungen machen, wie wir die Gespräche anlegen.

Im aktuellen Fall: Zur Naturphilosophie.

 

Vorneweg: Das Institut für Lehrerfortbildung gab 1991 ein Unterrichtsprojekt in Auftrag mit dem Titel: ‚Klimaschonendes Handeln für den Unterricht in der Sekundarstufe‘. Die Fachbegleitung lag bei dem Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg. Ich habe die Teile ‚Gemeinschaftskunde‘ und ‚Naturphilosophie‘ betreut. Der naturphilosophische Ansatz lautete: „Subjekt Erde.“ Bausteine daraus, die ich im Folgenden nenne, haben wir 2006, 2014 und 2018 in unsere Gespräche eingebaut.

In der ‚Zeit‘ vom 22. 7. 21 schreibt Bernd Ulrich: (1) „Sensationelle Nachrichten sind zu vermelden. Es gibt keine Umwelt…der Mensch ist immer schon Teil der Natur, sie geht über ihn hinweg und durch ihn hindurch, er besteht aus ihr.“
Zugleich kritisiert er: (2) „Die Gesellschaft redet sich gerade ein, das Klima lasse sich mit regenerativen Energien und ein paar technischen Neuerungen retten.“

Zu (1): Das Thema „Subjekt Erde“ begründet eben das: Kultur und Natur sind nicht zu trennen. Wir atmen die Aerosole ein, wir lassen die ‚Wärme-Auren‘ des Nachbarn in unsere einwirken; wir atmen uns im Konzertsaal wechselseitig ein. Im Philo-Zirkel haben wir das an Wittgensteins Satz praktisch geübt: „Es gibt keine Grenzen, aber du kannst welche ziehen.“ Physikalisch ist zwischen uns und dem Anderen keine Grenze gegeben. Nur aus dem Bewusstsein und der Sicherheit, dass es mein Ich ist, dass meine Gedanken begleitet (Kant), kann ich Grenzen ziehen zwischen Subjekt und Objekt, also fixieren (de-finieren). Damit stelle ich den lebendigen Fluss des Lebens (Hegel) still und gewinne die Chance, mathematisch und technisch mit der ‚Natur‘ als Objekt umzugehen.
Die Naturphilosophie von Platons ‚Timaios‘ über den Neuplatonismus und Hermetismus bis ins das 18. Jahrhundert ging immer von der Erde als ein lebendes Wesen aus. Mit den Worten Schellings gemäß seiner Identitätstheorie: „Das All schlägt im Bewusstsein des Menschen sein Auge auf“. Erst mit Descartes‘ Trennung von Raum und Materie einerseits und Bewusstsein andererseits in Verbindung mit Leibnizens und Newtons Modellen wird das Universum zu einem hochintelligent gebautem Uhrwerk. Und weil die Erde nach diesem Modell also keine Seele hat, kann man sie willkürlich ausbeuten, und Tiere, die keinen Schmerz erleben, weil sie ohne Seele sind (Descartes), kann man nach Bedarf abschlachten.

Diese Trennung galt bis ins 19. Jahrhundert und darüber hinaus. Als Unterströmung blieb die romantische Naturphilosophie immer gegenwärtig, ausgehend vom späteren Schelling und Franz von Baader. Mit Novalis ist die Signaturenlehre wieder aktuell geworden; Signaturen sind seitdem ‚Baumsterben‘ zu ästhetischen Zeichen für eine gesunde Natur oder deren Heilungsbedarf geworden. Erst die Quantenphysik als Naturphilosophie hat die alte Erkenntnis des ‚Subjet-Objekts‘ Erde wieder hergestellt. – Mein Ansatz war 1991 durchaus nicht im Mainstream der akademischen Betrachtung!

Mit den Forderungen nach ‚Nachhaltigkeit‘ und Agrarkreisläufen findet auch Goethes Morphologie wieder Beachtung. Goethe bietet einen interessanten Gesichtspunkt: Er gibt den „Grundsatz des Organischen“ für den „Wunderbau“ der Arten an: „Die ganze Lebenstätigkeit verlangt eine Hülle.“ Leben verlangt ein Innen und Außen, eine Borke, Haut, usw. Aber auch die Erde als Lebewesen braucht eine Hülle: Die Ozonschicht, Stratosphäre, Wolken. Luft und Wasser, wie die Erdkruste. Wir zerstören die Wasserhülle nicht nur durch Plastikpartikel und Säuren und durch unendlich viele andere giftige Einträge; wir zerstören die Ozonschicht mit tausenden Tonnen Ruß. Der Spaßtourismus unserer Milliardäre braucht für den Antrieb der Privat-Raketen ca. 13 bis 20 Tonnen flüssigen Sauerstoffs und 3,2 bis 6,8 Tonnen flüssigen Wasserstoffs. Ein Großraumflugzeug belastet die Atmosphäre mit einigen hundert Tonnen CO-2. (Vgl. FAZ. 20.7.21) Die erdmagnetische Hülle wird verletzt. Masken schützen da nicht. Hier wird Klimawandel zynisch in Kauf genommen. – Auch unsere elektromagnetische Hülle wird berührt: Mit 5-G liegt die elektrische Feldstärke 10.000 mal über den elektromagnetischen Grenzwerten für die Homöostase der Zellen. Die intrinsisch gesteuerte Reifung des Kinderhirns hält nicht mit der zu schnellen Taktung von 5-G mit. Einige europäische Städte haben darum die Einführung von 5-G zurückgestellt. (Brüssel, Genf, Basel etc.)

Zu (2): Presse und Politik sprechen über die gegenwärtige Regenkatastrophe, als sei sie ganz unerwartet erfolgt. Die Geologen der Universität Hamburg haben schon 1991 im Projekt ‚Klimaschonendes Handeln‘ Szenarien erarbeitet, die zeigen, wie nach Erderwärmung die Hochwasser und Regenmengen zunehmen. Ein Modell zeigt u.a. den Jungfernstieg im Wasser mit Palmen im Hintergrund. – Ich habe in dem Beitrag zur ‚Gemeinschaftskunde‘ in dem Projekt gezeigt, dass demokratische Gesellschaften politisch kaum über eine Legislaturperiode hinaus Klima-Großveränderungen langfristig angehen wollen und können. Seit 30 Jahren könnte man Bescheid wissen, und doch ist der Eintritt eine ‚Sensation‘.

Die philosophischen Problemfelder (Stichwörter: ‚Weltseele‘, Cusanus, Newton, Descartes, Kant, Goethe, Heisenberg u.a.) wurden jeweils gesondert besprochen und in den obigen Zusammenhang gestellt.

Pascal: „Durch den Raum erfasst mich das Weltall und verschlingt mich; durch das Denken erfasse ich es.“