Der Philo-Zirkel. ‚KI‘ zwischen Pragmatisten und Metaphysikern‘

Referent: Dr. Reinhart Schönsee
Der Philo-Zirkel stand vor einem Problem: Die ‚Philosophie‘ ist nicht mehr maßgebliches Steuerungsinstrument im öffentlichen Diskurs, das sie bis in die ‚Suhrkampkultur‘ hinein einmal war. Drei Hürden haben wir ausgemacht:

A.

1. Die Quellentexte der ‚großen Philosophie‘ sind immer in einer systemischen  Sprache geschrieben und darum nicht gleich zugänglich. Wer mit den Quellen umgeht (wie wir), sollte die originalen Begriffe wenigstens mit einer Übersetzungshilfe in den Kontext des Systems stellen können. Die ‚bachelorisierte‘ Leserschaft scheitert schon an den Satzmustern. Die Erwartung mancher neuer Teilnehmer ist, dass Philosophie als Teil der ‚Eventgesellschaft‘ einfach ‚Spaß‘ machen muss. Der ‚Spaß‘ scheitert recht bald an der ‚Anstrengung des Begriffs‘ (Hegel) beim Lesen der Texte. - Wir sind als ‚Philo-Zirkel‘ in das ‚Museum der großen Philosophen‘ eingetreten und haben uns jeweils eine Tür geöffnet. Goethe sagt, wenn man Kant liest, so sei das,  ‚als trete man in ein helles Zimmer‘: Wenn wir erreicht haben, dass der betretene Raum für uns wenigsten etwas ‚Helle‘ (‚Aufklärung‘) spendet und unser Gespräch belebt hat, so waren wir froh: Philosophie macht dann Freude, der Spaß kann mitlaufen.

2. Holistische, metaphysische Schlussfolgerungen sind heute vor der Durchdigitalisierung des Alltags und ‚KI‘ plus ‚Chat-GPT‘ unplausibel. Ein ‚herrschaftsfreier Dialog‘ (Habermas) ist in einer Video-Konferenz immer durch die Medien gesteuert. Mit McLuhan: „The medium is the message.“ Die ‚Message‘ wird ‚Gehirnmassage‘, so dass man die durch Algorithmen gesteuerten Mustererkennungs-Maschinen für ‚intelligent‘ hält. Wer digitale Medien steuert, ist Herr des Verfahrens., (Die Zusammenhänge haben wir in einem früheren Semester ausgiebig untersucht. Vgl. Shoshana Zuboff: ‚Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus‘; Siri Hustvedt: ‚Die Illusion der Gewissheit‘; Michael Seemann: ‚Die Macht der Plattformen‘. )

3. Hinzu kommt ein Problem, das Philosophie immer begleitet, nun aber in aller Schärfe hervortritt: Sie ‚klappt‘ hinter den Ergebnissen der ‚Naturwissenschaft‘ und heute auch hinter den Analysen der Gesellschaftswissenschaften hinterher. Ein Ausweg ist die Weichspülung der großen Texte in der ‚Popularphilosophie‘ oder die Flucht in ‚Esoterik‘ (z.B. Schamanismus, ‚Indigene Welten‘ mit Umarmung der Bäume etc.).

B.

Angesichts der Sachlage von A haben wir versucht, der ‚Zeitenwende‘ zu entsprechen und ‚von unten’ eine ‚Phänomenologie des Zeitgeistes‘ zu entwickeln und dazu eine Philosophie, die ihn abbildet. Die Mitglieder machten Vorschläge: ‚Altersheime‘ ( plus Kliniken), ‚Hoffnung‘ und eine ‚Soziologie der Kulinarik‘ waren erste Vorschläge.- Um das Gespräch in einen funktionalen Rahmen zu stellen, haben wir ein Schema nach Habermas entwickelt: ‚System und Lebenswelt‘ in ihrem Spannungsverhältnis.

Der ‚Sozialstaat‘, eingebettet in die Anforderungen des globalen Finanzkapitalismus und seiner Ressourcenkonkurrenz muss den Widerspruch zwischen Nutzen- und privaten Gewinninteressen einerseits und gemeinnütziger Sicherung der Lebensinteressen seiner Bürger verwaltungstechnisch vor allem mit Steuermitteln auszugleichen versuchen. Seine Institutionen unterliegen eher dem Modell privatwirtschaftlicher Betriebsführung. Sind die als Einrichtungen Aktiengesellschaften, dann steht die Rendite, nicht die Pflege im Vordergrund. (Das gilt cum grano salis genauso für den Wohnungsbau oder für die Bundesbahn.) Die Zuwendung ist getaktet, ganz ähnlich dem Taylorsystem des 19. Jhs. Diese Taktung als Arbeitsplan ist aber hervorragend kompatibel mit einer ‚KI‘, deren Leitmodell auf eine Robot-Betreuung hinausläuft.-  Weil wir Mitglieder haben, die beruflich und fachlich in die Frage institutioneller Pflege eingebunden sind, war unser Gespräch durch Fakten gut gesichert. Die ‚lebensweltliche Realität‘ geht nur rudimentär in die Institutionen ein. Es fehlt alles, was nicht in ein Budget passt: Individuelle Zuwendung, Zuhören, biographisch orientiere Gespräche, Sicht auf die Gesamterscheinung des ‚Patienten‘ aus der medizinischen, lebensweltlichen Erfahrung des Arztes. Alles, was die allopathische Medizin als ‚Placebo‘ kennt, wird in der Lebenswelt helfend relevant.

C.

Wie man sieht, wurden wir zu einem sozilogischen Kultursalon: Die Philosophie trat zurück, weil wir uns viel zu sehr um die systemischen Fragen kümmern mussten. Darum haben wir noch einmal umgeschaltet. Im Vordergrund stand die ausführliche Beschäftigung mit ‚KI‘ und ‚Chat-GPT‘. (Leichte Einführung: M. Lenzen: Der elektronische Spiegel. Beck 2023; dazu die Fachaufsätze von R. Otte, Chr. Bermes, A. Dörpinghaus, R. Heckel et al.)

‚KI‘ und ‚Chat-GPT‘ haben philosophisch eine sehr interessante Eigenschaft: Sie behandeln die Welt als Muster und statistisch als  Segmente ohne ‚Referenz‘ auf eine ‚‘Wirklichkeit‘. Die pragmatische Genialität besteht darin, dass man gar nicht etwa nach einer Konstitution der Grammatik oder nach den metaphysischen Bedingungen der Erkenntnis fragt. Die Frage nach dem ‚Ding an sich‘ macht keinen Sinn. Die Suchmaschinen setzen ‚einfach‘ die Textmasse und die musterfähige ‚Realität‘ mathematisch in Algorithmen und Statistik um. Die statistische Reihung der Wörter kommt aus der der ‚Black Box’ der ‚KI‘. Die Maschine bietet ein Sprachspiel ohne Tiefe. Sie erzeugt ein zweidimensionales Netz, das nur aus der Oberfläche besteht. Darum ist die Frage nach einer ‚fundamentalen‘ Wahrheit nicht nur egal, sondern gar nicht relevant. Wir finden ein zeittypisches Phänomen u.a. in der Ununterscheidbarkeit von Lebenswelt und ‚KI-generierten Semantiken‘: Handy-User ( bei 10 Stunden) sind ‚real‘ in ihrer Cyber-Welt; ohne Handy sind sie in der ‚Ich- Krise‘. Die ‚Kryptowährung‘ ist für die Börsenaufsicht juristisch nicht zu fassen: Ist sie Wertpapier oder Ware? , ‚Fakes‘ und ‚Wirkliches ‘ sind für die Maschinen egal. ‚Photoshoppen‘ macht menschliche Kunst von ‚KI-Kunst‘ ununterscheidbar. Das Gleiche gilt von der Musikszene. In den Geisteswissenschaften sind ‚KI-Aufsätze‘ gelegentlich besser als ‚händische’ Essays.-  Um Sinn von Unsinn zu unterscheiden, bedarf man eines fachlich spezialisierten Urteilers, der über dem Level der Maschine steht und als ‚Generalist‘ die  ideologischen Implikationen, welche die gesampelten Texte immer mit transportieren,  erkennt. Daraus folgte für unser Gespräch:
 

D.

Wir sehen drei gesellschaftlich Wege:

1. Menschen, die ‚KI‘  für Intelligenz halten und  Geist als Programm, welche die Verschmelzung mit Maschinen als ‚Autonomie‘ erleben (‚autonomes Fahren‘ z.B.) und die Aufgabe ihrer Autonomie als Autonomie genießen; sie lassen sich  durch ‚Alexa‘ steuern und finden ihre wahre Realität im ‚Cyberspace’ und nutzen dankbar und unkritisch ‚ KI‘.

2. Die (vor allem amerikanischen) ‚Pragmatisten‘ wie James, Dewey und R. Rorty (‚Pragmatismus als Antiautoritarismus‘, Suhrkamp 2023) und ihre Schule knüpfen an die Tradition ihrer Vorläufer, Locke und Hume, an, und sind relativ leicht mit dem ‚KI‘-Verständnis kompatibel . Rorty: „Wir sollen weder erwarten noch wünschen, dass unseren öffentlichen Institutionen eine feste philosophische Grundlage  – eine Verbindung mit dem Wesen der Realität oder der Wahrheit – zukommt.“ (eda., S. 52) „ Moral ist einfach eine neue und umstrittene Gepflogenheit.“ (eda., S. 289)

3. Die Metaphysiker von Plato bis Habermas, die an eine intrinsische Wahrheit glauben. Für uns führte die ‚KI‘-Diskussion zur Frage, ob wir Rortys Pragmatismus folgen sollen und damit J. Locke und Hume; oder ob wir Kants ‚Kritik der Urteilskraft ’vorziehen würden. ‚Urteilen‘ ist Kern des Umgangs mit ‚KI‘. Die Diskussion werden wir im Herbst fortsetzen.