Gegen den Mainstream: ‚Metaphysik‘ versus ‚Pragmatismus‘, ‚KI‘ und ‚Postmetaphysik‘

(Homepage: Philo-Zir 24 –II-Metaphysik ) Referent: Reinhart Schönsee

1.

Der Philo-Zirkel stand vor einem Problem: Die ‚Philosophie‘ ist nicht mehr maßgebliches Steuerungsinstrument im öffentlichen Diskurs, das sie bis in die ‚Suhrkampkultur‘ hinein einmal war. (Die Hürden haben wir dargelegt. Vgl. ‚Entfesselter Kapitalismus u. gefesselte Seelen.‘ Eröffnungsrede ‚Kunsttherapie‘, 2002; ‚Angst vor dem Geist‘: Philo-Zirkel, Mai 21)

Unter dem Diktat von Prekariat, Ressourcen- und Verwertungslogik, Karriere unter Drittmittelabhängigkeit sucht entweder die ‚Philosophie‘ eine Überlebensstrategie in Popularphilosophie oder Texte im Mainstream. Oder sie franst aus in die Einzelwissenschaften. Hinzu kommt ein Problem, das Philosophie immer begleitet, nun aber in aller Schärfe hervortritt: Sie ‚klappt‘ hinter den Ergebnissen der ‚Naturwissenschaft‘ und heute auch hinter den Analysen der Gesellschaftswissenschaften hinterher. Sie kann auf die Einzelwissenschaften „nur noch reagieren.“ (Habermas, WR, S. 327; s.u.)

2.

Metaphysik strebt danach, den Satz des Parmenides: „to gar auto noein estin te kai einai“ (Denn das ‚Selbe‘ (auton) ‚Ist‘ (estin) das ‚Denken‘ (,Nous‘: Geist, ‚Videre‘ = Idee = Schau) wie zu ‚Sein) sinnvoll zu entfalten. ‚Wesen‘ und ‚Wissen‘ sind ein ‚Synholon‘ (Platon = ‚Gemeinsam-Ganzes‘). ‚Wahrheit‘ und ‚Wesen‘ sind ‚Subjekt-Objekt‘ (Hegel) im ‚Fließbild‘ des ‚Ganzen‘. Die Weltsicht der Gegenwart tritt diesem Satz näher in der Quantenphysik (‚Schrödingers  Katze‘) sowie in der ökologisch-informierten Naturphilosophie (‚Subjekt Erde‘). Wie die Naturphilosophie zeigt, sind wir Mitglieder in der Symbiose von Welt und kosmischer Intelligenz. (Vgl. A.O. Lovejoy: ‚Die große Kette der Wesen‘, (1933), dt. 1993).

3.

Im Gespräch über ‚Naturphilosophie‘ (vgl. 1. Skizze, 21.10.21 unserer Homepage) diskutierten wir ein Zusammenspiel der kosmischen Zyklen und Rhythmen, ihrer Wechselwirkung und Lichtorganisation bis in die Photonen der Zellen. Daraus ergab sich ein organisches Bild einer kosmischen Intelligenz, die sich im ‚Subjekt Erde‘ manifestiert. Wenn man, wie gegenwärtig sehr aktuell, den indigenen Umgang mit der Natur hinzunimmt, dann ergibt sich eine moralische Verpflichtung des Menschen als den „ersten Freigelassenen der Schöpfung“ (Herder) für die ‚Natur‘, denn „in Ihm schlägt die Natur ihr Auge auf“ (nach Schelling): der Mensch weiß um die notwendige Balance der Zyklen und ihrer Synchronizität. Mit Michael Hampe (‚Tunguska‘ S. 53): „Wenn wir zulassen, dass wir ein Teil der Natur sind, dann müssen wir zulassen, dass unsere Vorstellungen ein Teil der Natur sind.“ Dazu Schelling: Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur seyn. Hier also, in der absoluten Identität des Geistes in uns und der Natur außer uns, muß sich das Problem, wie eine Natur außer uns möglich seye, auflösen.“ (Schelling: ‚Ideen zu einer Philosophie der Natur‘, SW II, S. 56). Diese Betrachtung der Natur leitet an, für eine ‚Schenkungsökonomie‘ einzutreten, die Geben und Nehmen, Schonung und Achtung im Kreislaufprozess der Natur sichert. Der Ansatz, ‚Erde‘ als ‚Untertan‘ und Objekt renditegesteuerter Ausbeutung braucht ein neues Bewusstsein für den besseren Weg. Diesen weist, wie wir meinen, eine Aktualisierung der abendländischen Metaphysik.

4.

Damit standen wir vor der Barrikade der drei ‚Mainstream-Ideologien‘: (‚Pragmatismus‘ (a), ‚KI‘ (b), ‚Postmetaphysik‘(c). Allen dreien ist eines gemeinsam: Sie sind ‚Anti’-‚Essentialistisch‘. Die Fragen nach dem ‚Grund‘ des Seins und des ‚Bewusstseins‘ (D.einrreich). Henrich) Heinrich) fallen aus. Wir fanden, eine moralische Wertebildung kläre sich ohne Selbstreflektion nicht auf. Völlig außer Acht gelassen wurde in allen dreien, was wir im Umgang besonders mit der ökologisch-informierten Naturphilosophie gelernt haben. Die ‚Tiefensehnsucht‘ (s.u.) nach Sinnstiftung kann eine Plattformökonomie nicht ersetzen.

Zwar weiß der Metaphysiker, dass er sich immer nur asymptotische dem Ziel, dem ‚Agathon‘ Platons, dem Guten, bzw. dem ‚Synholon‘ des Parmenides, als „Fülle“ des Seins und dem ‚Einen‘ nähern kann. Dennoch schafft die ‚Mühe‘ (Platon), die ‚Arbeit am Begriff‘ (Hegel), eine Bereitschaft und Chance der Erkenntnis und Inspiration für neue Ideen. Die ‚Transfigurationskraft‘ ‚Über das Faktische hinaus‘ leitet auf Transzendenz, auf Meta-Physik, auf Welthaltigkeit des Sinns.

a. Pragmatiker

Pragmatiker sehen diese Bemühung als Zeitverschwendung, weil sie ja zugegebener Maßen zu ‚Nichts‘ führt. Der Metphysiker hofft, dass er durch die Bildungsarbeit an den Quellen, wie Platon sagt, seine Seele mit dem rechten ‚Humus‘ versehen kann, so dass der Funke (‚Phos‘) den ‚Keim‘ zu höherer Erkenntnis bei ihm wachsen lassen kann. (Platon: 7. Brief, 344b) Der Mußeraum dazu stiftet Bildung. Der ist in der Verwertungs-und Renditeökonomie verloren gegangen. Platons ‚Götter-„Funke“ (Schiller) schafft Freude. Das ist in einer Spaßgesellschaft nicht zu vermitteln. Bildungstechnokratien schaffen immer nur ein Echo ihrer selbst. Für die Pragmatiker ist gültig, was klappt.

b. KI

Die KI interessiert sich für die Chance der Musterbildung in den Erscheinungen der Welt als Netzverknüpfung durch Algorithmen, die auf Grund ihrer gewaltigen Datenmasse, die das „Sein im Ganzen“ als freischwebendes Netz statistisch mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Mustern ihres Kontaktnetzes verbinden . Zwar können sie auch gehörigen Unsinn produzieren, darum ist immer noch ein menschliches Subjekt als ‚Wächter‘ (Platon: ‚Phylax‘) der Geltung wichtig. Für den Alltag ist die KI ein hervorragendes Handwerkszeug, das niemand mehr missen will. (Die Zusammenhänge haben wir in einem früheren Semester ausgiebig untersucht. Vgl. Shoshana Zuboff: ‚Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus‘; Siri Hustvedt: ‚Die Illusion der Gewissheit‘; Michael Seemann: ‚Die Macht der Plattformen‘. Im Vordergrund stand die ausführliche  Beschäftigung mit ‚KI‘ und  ‚Chat-GPT‘. Als leichte Einführung: M. Lenzen: Der elektronische Spiegel. Beck, 2023; dazu die Fachaufsätze von R. Otte, Chr. Bermes, A. Dörpinghaus, R. Heckel et al. Umfassend, allerdings ‚KI-affin‘, Patrick Krauss: ‚Künstliche Intelligenz und Hirnforschung….die Zukunft der Kognition‘, 2023.) Die  Verwechslung dieser Technik mit Intelligenz oder ihr mechanisches  Vorgehen mit der Leistung des Gedächtnisses führt zu einem Kulturverlust der metaphysischen Tradition unserer Werte und steht quer zu Erkenntnissen der Humanwissenschaft, der modernen Neurologie und Mikrobiologie. Wer auf ‚Metaphysik‘ pfeift, dem ist der Verlust egal.

‚KI‘ und ‚Chat-GPT‘ haben philosophisch eine sehr interessante Eigenschaft: Sie behandeln die Welt als Muster und  statistisch als Segmente ohne ‚Referenz‘ auf eine ‚Wirklichkeit‘. Die pragmatische Genialität besteht darin, dass man gar nicht etwa nach einer Konstitution der Grammatik oder nach den metaphysischen Bedingungen der Erkenntnis fragt. Die Frage nach dem ‚Ding an sich‘ macht keinen Sinn. Die Suchmaschinen setzen ‚einfach‘ die Textmasse und die musterfähige ‚Realität‘ mathematisch in Algorithmen und Statistik um. Die statistische Reihung der Wörter kommt aus der ‚Black Box’ der ‚KI‘. Die Maschine bietet ein Sprachspiel ohne ‚Tiefe‘. Sie erzeugt ein zweidimensionales Netz, das nur aus der Oberfläche besteht. Darum ist die Frage nach einer ‚fundamentalen‘ Wahrheit nicht nur egal, sondern gar nicht relevant: Ganz so, wie bei den ‚Postmetaphysikern‘. Wir finden ein zeittypisches Phänomen u.a. in der Ununterscheidbarkeit von ‚Lebenswelt‘ ( mit Habermas) und ‚KI-generierten Semantiken‘: Handy-User (bis 10 Stunden) sind ‚real‘ in ihrer Cyber-Welt; ohne Handy sind sie in der ‚Ich-Krise‘. Die ‚Kryptowährung‘ ist für die Börsenaufsicht juristisch nicht zu fassen: Ist sie Wertpapier oder Ware? ‚Fakes‘ und ‚Wirkliches ‘ sind für die Maschinen egal. ‚Photoshoppen‘ macht menschliche Kunst von ‚KI-Kunst‘ ununterscheidbar. In den Geisteswissenschaften sind ‚KI-Aufsätze‘ gelegentlich besser als ‚händische’ Essays.-  Um Sinn von Unsinn zu unterscheiden, bedarf man eines fachlich spezialisierten Urteilers, der über dem Level der Maschine steht und als ‚Generalist‘ die ideologischen Implikationen, welche die gesampelten Texte immer mit transportieren, erkennt. Daraus folgte für unser Gespräch: ‚Tiefe‘ ist gefordert.   

c. Postmetaphysik (Habermas/Rorty)

Der Pragmatismus hat eine strukturelle Nähe zur KI und ein problematisches Verhältnis zur ‚Postmetaphysik‘.

Um eine Grundlage für unser Gespräch zu finden, wählten wir beispielhaft die Auseinandersetzung zwischen Rorty und Habermas über das sinnvolle pragmatische Handeln (Rorty) und ‚Wahrheit‘ als Geltung durch kommunikative Rationalisierung in freier Diskussion (Habermas). Als Texte zogen wir heran: Rortys ‚Pragmatismus als Antiautoritarismus‘ (PA) (2023) und ‚Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie‘. (1979; dt. 1981) (‚Spiegel‘) und von Habermas: ‚Wahrheit und Rechtfertigung‘ (1999) (WR) (.u.a.). Beide Autoren spielen im ‚postmetaphysischen Feld.‘

Zu Habermas:

Habermas hatte schon 1988 eine Aufsatzsammlung herausgeben mit dem Titel ‚Nachmetphysisches Denken‘. Der Kern seiner These lautet, dass „intersubjektiv geteilte Lebensformen in den Strukturen der Lebenswelt zusammengefügt werden“ und so „ an deren Totalisierung (der Lebenswelt) teilhaben. „Das Geltungssyndrom, auf das die religiösen und metaphysischen Grundbegriffe angewiesen waren, löste sich auf mit der Entstehung der Expertenkultur für Wissenschaft, Moral und Recht...“ (S. 24f). Unsere Betrachtung zeigt mit Rorty, dass das „Geltungssyndrom“ durchaus einen metaphysischen Hintergrund hat. (S.u.) Rorty setzt schärfer dazu: „Wittgensteins, Heideggers und Deweys gemeinsame Diagnose lautet, dass die Vorstellung, das Erkennen sei eine akkurates Darstellen…aufgegeben werden muss.“ (‚Der Spiegel‘, S.15). Auf der angelsächsischen Seite glaubte man, der „linguistic turn“ befreie uns von allen Rudimenten und Versuchungen des Idealismus“. (‚Spiegel‘, 181, vgl. PA, S. 64)

Habermas‘ Kommunikationstheorie schien in diesem Zusammenhang  eine Grundlage zu bieten, den abendländischen Konflikt von „De Ente et Essentia“ (Th.v. Aquin: von ‚Sein und Wesen‘ (nach Parmenides) durch Streichung der ‚Mentalen Welt‘ (Rorty) und ‚Bewusstsein‘ (Habermas) auflösen zu können. Der ‚herrschaftsfreie Dialog‘ einer intellektuellen ‚Wächterklasse‘ hat aber seine Voraussetzung verloren: Habermas‘ Schlussfolgerungen sind heute vor der Durchdigitalisierung des Alltags und ‚KI‘ plus ‚Chat-GPT‘ unplausibel. Habermas fordert , der „öffentliche Diskurs“ müsse „zugleich den Sinn einer unverzerrten politischen Öffentlichkeit überhaupt und das Ziel demokratischer Willensbildung selbst präsent halten…; denn die Existenzvoraussetzungen einer nicht organisierbaren Praxis können nur durch diese selbst gesichert werden.“ (‚Faktizität und Geltung‘, 1993, S.625) „Sinn“ kann nicht durch „Praxis“ gerechtfertigt werden; seine Grundlagen wie auch das ‚Subjekt‘ der „Öffentlichkeit“ sind metaphysisch. (Rorty lehnt das Ziel des ‚herrschaftsfreien Dialogs‘ als dysfunktional ab. (Vgl. PA. S. 199) Wer digitale Medien steuert, ist Herr des Verfahrens. Habermas‘  ‚postmetaphysisches‘ Ziel, die ‚Totalität der Lebenswelt‘ durch einen ‚herrschaftsfreien  Dialog‘ mit den technokratischen Institutionen zu vermitteln, bleibt vor diesem Hintergrund Utopie. (Vgl. z. B. seine Ausführung in ‚Zwischen Naturalismus und Religion‘, 2005, S.119 ) Habermas‘ Altersresignation formuliert sein Biograph Fels  (‚Der Philosoph Habermas und wir‘. 2024) gemäß der Rezension von Fl. Meinel (FAZ 8.3.24): „Wie wir alle steht auch Habermas vor dem Scheiterhaufen deutscher Politikprojekte und deutschen politischen Denkens der letzten Jahrzehnte.“ Zu Recht spürt Habermas in seinem Alterswerk „nicht nur die Skrupel, sondern auch die Unsicherheiten“. (‚Auch eine Geschichte der Philosophie‘, Bd. II, S.908) Am Ende plädiert er für eine neue Metaphysik: Er habe versucht, „den Prozess der ‚Einwanderung‘ theologischer Gehalte ins profane Denken als einen philosophischen nachvollziehbaren Lernprozess darzustellen.“ (‚Auch eine Geschichte Philosophie‘,Bd. II.S. 806) Der Schluss ist eine verschlüsselte Rücknahme der ‚Postmetaphysik‘: „die Vernunft würde mit dem Verschwinden jeden Gedankens, der das in der Welt Seiende im Ganzen transzendiert, selber verkümmern.“ (Die Anklänge an Heidegger sind nicht zu überhören.) Er schließt: die „liturgische Praxis“ im „Ritus einer Gemeinde“ behaupte damit eine „gegenwärtige Gestalt des Geistes.“ (eda. S. 807) Das klingt schon sehr nach Heidegger (s.u.5.b), als würde ein rettender Gott als Parusie im Ritus erscheinen.

d. Zu Rorty und KI

 ‚Pragmatist‘ Rorty wischt auch die Philosophien Heideggers und Habermas‘ und aller Vorgänger bis zu Platon aus, wenn er feststellt: „Ich halte diese Intuitionen für nicht mehr als unser Vermögen, ein gewisses technisches Vokabular zu beherrschen, das außerhalb des Wirkungskreises von Philosophiebüchern keinerlei Verwendung findet und mit keinen Problemen des täglichen Lebens, der empirischen Wissenschaften oder der Religion in Kontakt steht.“ (‚Der Spiegel‘, S. 33) Für Rorty ist das ‚Mentale‘ (Platons: ‚Noumenon‘; Kants ‚transzendentale Analytik‘) eine „Erfindung“ (‚Spiegel‘, S. 27) Er „erledigt“ (eda., S. 45) das ‚Leib-Seele-Problem‘, indem er das „Zuschreiben von der Kenntnis des Kontextes“ als „Unterart des Funktionalen“ (mit Wittgenstein) betrachtet. „Wir werden das Intentionale als etwas verstehen, das keinerlei Verbindung mit dem Phänomenalen hat.“(eda. S. 44) Seine These ist eine „Mind-Body-Identity“ auf der Grundlage seines „eliminativen Materialismus“. (Eda., S. 137, Anm.23, S. auch S. 382) Sprache habe vor allem eine praktische Funktion: Der „Erwerb verschafft uns…Eintritt in eine Gemeinschaft, deren Mitglieder ihre Behauptungen und anderen Handlungen einander gegenüber rechtfertigen“. (eda., S. 206)

Sehr bedeutsam für den Bezug zur KI ist, dass die ‚Referenz‘ in der Triade des Sprachgebrauchs ‚Icon, Klang, Referenz‘(vgl. PA S. 232) (als Bezug auf ein ontologisches oder gewusstes Objekt) als unsicher gilt, weil sie „unerforschlich“ geworden ist. (‚Spiegel‘, S. 221) Diese „Ontologische  Relativität“ (mit Quine und Rorty, S. 220) ist bezeichnend für die Muster-Konnektion der KI, die ihre Vorteile gerade dadurch gewinnt, das sie von einer Objektbeschreibung absieht. (Vgl. dazu Rortys These „Nr.5: Eine Welt der Relationen ohne Substanzen“. (PA,S. 399) Wie gut Pragmatismus und KI zusammengehen, zeigt der Satz Rortys: „Der wissenschaftliche Fortschritt beruht darauf, dass immer mehr Daten in ein kohärentes Überzeugungsnetz einbezogen werden…Daten werden mit Daten vereinigt.“ (PA , S.299) So kommt die Meinung zustande (mit Dowell und Rorty, S. 258): „Der von den Computer-Programmen entwickelte Begriffszusammenhang macht gegenwärtig den einzig wirksamen Einfluss auf die Gedanken der Psychologen über kognitive Prozesse aus.“(‚Spiegel‘, S. 258f) Dazu gehört Rortys Argumentation „Gegen Tiefe“ und „Vertikalität“ (PA, S. 251;S. 242) Die pragmatischen Vorteile der ‚Referenzlosigkeit‘ haben allerdings schwerwiegende Folgen für die Wertegrundlagen einer Gesellschaft und ihren gesetzlichen Rahmen, wenn Rorty „nicht wünscht,…dass unseren öffentlichen Institutionen eine feste philosophische Grundlage – eine Verbindung mit dem Wesen der Realität oder der Wahrheit – zukommt.“ (PA,S. 52)

Die Metaphysiker versuchen diesen Hiatus je nach System als ‚Methexis‘ (Teilhabe nach Platon und Heraklit) im Sinne des ‚Parmenides‘ zu begründen. Die ‚logozentrische Begründung’ Habermas‘ des Menschen als Wesen, das ‚Vernunft‘ (‚Logos‘, nach Aristoteles) soll nach Rorty wegfallen. (PA, S. 144). Die moralische Verpflichtung des Menschen als „erster Freigelassener der Schöpfung“ (Herder) wäre damit aufgegeben. Rorty nennt den ‚Überschuss‘ kritisch „Kontexttranszendenz“ (die für Habermas durchaus Geltung hat). Der ‚Logos‘ als die Universalität des Geistes (die Kant betont), zielt auf eine ‚Tiefendimension‘ und ontologisch-anthropologische Gründung, die Rorty ablehnt.( Vgl. PA,S.287). Die Konnexion der Muster als Konvention der Sprache im Sinne der KI reichen für ihn  aus. Nur wenn man die Begrenzung als logische Fixierung der Begriffe öffnet hin auf eine ‚Arche‘ (Ursprung, Quellpunkt‘ mit Platon), auf einen ‚Fluchtpunk‘ als Entgrenzung und Öffnung für das ‚Eine‘ aus dem Fließbild des Ganzen (meinen wir mit Hegel), gewinnt man die Wahrheit des ‚Subjekt-Objekts‘. (Dagegen Rorty, PA, S. 352) Die ‚regulative Idee‘ der Vernunft (nach Kant) ist für Rorty eine autoritäre Idee der Aufklärung. Ihr moralischer Bezug auf Achtung und Würde wird gar nicht erkannt. Vor dem Hintergrund einer informierten ökologischen Naturphilosophie ist folgender Satz Rortys katastrophal: „Es gibt nichts Nichtmenschliches, dem wir in irgendeiner Form verpflichtet wären.“ (PA.S. 349)

e. Rortys Kritik an Habermas:

Darum hält er das Unternehmen,  eine „Universalpragmatik“ oder eine „transzendentale Hermeneutik“ zu entwickeln (wie Apel und Habermas) für ein „höchst dubioses Unternehmen.“ (‚Spiegel‘, S. 411) Hier finden wir dagegen den Ansatz gerade in Umkehr seiner Kritik zu Habermas und die Begründung für eine modernen ‚Metaphysik‘. Für Rorty wirkt die ‚Metaphysik‘ Heideggers oder Platons „wie ein Versuch, sich an etwas anzukuscheln.“ (PA, S. 80) Allerdings könne der Pragmatist auch „keinen Grund nennen, warum man kein Faschist sein sollte.“ (PA, S. 109) Denn „es gibt nichts, was ein intrinsisches Wesen besitzt“, das „gilt auch für die Menschen“. (PA, S. 232) (Wir halten das Gegenteil für richtig.)

Rorty begründet seine Kritik an der ‚Postmetaphysik‘ Habermas‘ mit dem Nachweis, dass dessen Kommunikationstheorie nicht ohne metaphysische Grundannahmen im Hintergrund auskommt.

Diese Kritik Rortys an einer ‚transzendentalen Hermeneutik‘ war für uns sehr willkommen. Der Nachweis ‚metaphysischer Grundannahmen‘ (bei Habermas), den wir für gelungen halten, gab uns die Sicherheit, das ‚Post‘ der ‚Postmetaphysik‘ außer Geltung zu setzen. Wir durften uns darum gegen den Mainstream zu Parmenides wenden.

Rortys leistet seine Metaphysikkritik z.B. mit dem Habermas-Zitat (in PA, S. 143ff): Habermas müsse die These fallen lassen, das „ein Moment der Unbedingtheit in die faktischen Verständigungsprozesse eingebaut“ sei. (PA,S. 143) Hier liegt für uns das „immer etwas darüber hinaus“‚ nämlich dort und dann, wenn das ‚Eine‘ (‚Hen‘) als das ‚Viele‘ (‚Pan‘) in die Zeitlichkeit der Sinne tritt. Vgl. dazu Habermas in ‚Hermeneutik und Ideologiekritik‘, 1971, S.122; und Habermas eda. S.187: „Die Vermittlung des Allgemeinen und Einzelnen“ teilt „die Idee einer freien, zwanglosen Übereinstimmung“ mit.“ „Die Einheit der Vernunft“ soll „in der Vielheit ihrer Stimmen wahrnehmbar“ bleiben. (Habermas, PA,S: 187) Diese ‚Einheit‘ ist als „Hen“ nur metaphysisch zu fassen. Habermas fordert nach Rorty innerhalb einer kontextgebundenen Diskussion „ein transzendierendes Moment allgemeiner Geltung.“ (Vgl. WR, S. 328 dazu: Die Sprachphilosophie habe die „hermeneutische Fähigkeit, Sprach-und Diskursgrenzen zu überschreiten, während sie gleichzeitig für holistische Hintergrundkontexte empfindlich bleibt.“) Das fordert Rortys Kritik heraus: ‚Wahrheitsansprüche‘ ( nach Habermas) „transzendieren“ immer den Kontext, „in dem sie erhoben werden.“ (PA,S. 162 ; Wellmer mit Habermas). (Vgl. PA, S. 176ff)  Sie sind nach unserer Lesart ‚metaphysisch‘. Rorty zitiert kritisch den Satz von Habermas (‚Spiegel‘ ,S. 412) „Die Funktionen, die Erkenntnis innerhalb universaler lebenspraktischer Zusammenhänge hat, können, ohne den Unbedingtheitsanspruch der Wahrheit empirisch zu hinterfragen, aussichtsreich, wie ich meine, nur im Rahmen einer transformierten Transzendentalphilosophie geklärt werden.“ ‚Universalität‘ und ‚Unbedingtheit‘ in der ‚Lebenspraxis‘ führen direkt auf das Paradox der parmenidischen Metaphysik.

5. Nietzsche und Heidegger

Noch eine Barriere für unsere Wendung zu Platon stand uns bevor: Das Narrativ der ‚Postmetaphysiker‘ erklärt  Nietzsche und Heidegger als Vorläufer und Zertrümmerer der Metphysik.

a. Zu Nietzsche:

Nietzsche haben wir in einem früheren Semester ausgiebig besprochen, besonders sein Verhältnis zu Grausamkeit, Macht und Wagner und die Bedeutung der ‚Maske‘ für seine Darstellung.

Als Wagner in Venedig der zweiten Akt des ‚Tristan‘ vollendet hatte, feiert Nietzsche das Werk: als „das eigentliche opus metaphysicum aller Kunst“. Bekanntlich ist sein musikalischer Lebensweg ein Gang trotziger Hass-Liebe zu dem Metaphysiker in Bayreuth. (Vgl. dazu jetzt: Renate Müller-Buck: „…zitternd vor bunter Seligkeit. Nietzsche in Venedig.‘ 2024). Wenn er sich im dionysischen Feuer verbrennt (Platons ‚Phos‘) (‚Ecce Homo‘: „Ja, ich weiß woher ich stamme!/Ungesättigt gleich der –Flamme/ Glühe und verzehr‘ ich mich./ …Flamme bin ich sicherlich.“ Wke. 3. S. 367) steigt er wie Phönix aus der Asche „Bei der dritten Häutung“( eda. .S 354 ) wieder auf: als ‚Hyperboreer‘ :„Jenseits des Nordens, des Eises, des Todes – unser Leben!“ (Wke, 13, S.477) „Große Dinge verlangen, daß man von ihnen schweigt“ (eda) : Das ist Platons „ungeschriebene Rede“; es klingt nach der ‚Sige‘ der Gnostiker. Seine „Experimentalphilosophie“ will den ‚Nihilismus‘ vorwegnehmen „ohne den Willen zum Nein. .Sie will vielmehr bis zum Umgekehrten hindurch – bis zu einem dionysischen Jasagen zu Welt – sie will den ewigen Kreislauf..“ (eda.S. 492) Dazu: „und wie viele neue Götter sind noch möglich!... Mir selber, in dem der religiöse, das heißt gottbildende Instinkt mitunter wieder lebendig werden will: wie anders, wie verschieden hat sich mir jedes Mal das Göttliche offenbart!“ Man kann zu jedem Satz Nietzsches auch den ‚Gegensatz‘ finden. Deutlich ist aber, dass das Spätwerk durchaus metaphysische Hintergründe aufweist. Wir folgen einem der Herausgeber der Werke Nietzsches,  G. Colli, (Wke13, S. 653: ‚Nachwort‘): „Der Ani-Metaphysiker muss zum Metaphysiker werden.“

b. Heidegger:

Heideggers Metaphysikkritik gilt in erster Linie ihrer Lehre an den Universitäten: Diese seien „Bertriebsanstalten“ und „Kulturdekoration“ (Wke,65,S. 155). Metaphysik wird zum „Rechnen auf dem Rechenschieber“ (eda. S. 94), treibt „lose Öde einer bisherigen „Ontologie“ (eda. S. 73) und verfällt der „ Machenschaft“ (eda. S. 38 u.107). Heidegger will nicht die ‚Aufgabe‘ der Metaphysik, sondern ihre „Über-windung“ (Wke, 66, S. 15). Er will sie  nicht „wegschieben“, sondern als das „ganz andre“ neu fassen. (Wke, 66, S. 385) Das ‚Da sein‘ soll „in seine Lichtung“ (eda. S. 386) kommen.  Dieses „ ‚Da-sein‘ west außerhalb der Fuge, als welche die Metaphysik die Seiendheit des Seienden im Ganzen gefügt und für die bisherige abendländische  Geschichte verfügbar gemacht hat.“ (eda.)

Nach der ‚Kehre’ tritt aber immer mehr eine theologisch-‚hermetische‘ Dimension hinzu: Mit ihr kommen wir „vor die Winke des letzten Gottes zu stehen.“ (Wke, 65, S. 82) Denn „Seiendes sind auch die Götter“ (‚Heraklit-Seminar‘, S. 143). Wenn der „letzte Gott“ am „eröffneten Abgrund“ vorübergegangen ist, (Wke, 66, S. 307), entsteht die „widerwendige Zuwendung in das Eigentum (die Wesung des aus Gottschaft Menschentum, Welt und Erde Wesenden)“ ( eda.). (Vgl. Wke, 65, S.599 ff: „Der letzte Gott“.) Heidegger fragt: „Wie, wenn das Seyn selbst wäre…, um sich, das Verborgene der Gottschaft der Götter, deren stättelose Nähe und Ferne anzuwinken?“ (Wke, 66, S. 129) Alles läuft auf den berühmten Satz aus dem Spiegel-Interview von 1966 hinaus: „Nur noch ein Gott kann uns retten.“ Ein Anklang nach einer apokalyptischen Erwartung des Göttlichen als ‚Paraklet‘ ist nicht zu überhören.

Nach G. Payen (‚Heidegger‘. dt. 2022 ) klingt die „Gottschaft“ nach einer „säkularisierten Theosophie“. (S. 616) Ein Gutachten zu Heidegger von E. Jaensch (1934) spricht von seinem Charakter „des talmudisch-rabulistischen Denkens.“ (eda., S. 415).

Fazit: Wir durften uns also frohgemut und zukunftssicher zur Metaphysik und Platon zuwenden. (s. Philo-Zirk 24- I- Platon)