Die Arbeit im Philo-Zirkel im Winterhalbjahr 2018/19

Die Digitalenthusiasten feiern 5G und die ‚Künstliche Intelligenz‘; deren Leistungen wissen wir zu würdigen. Philosophie ist es gewohnt, das Alltägliche in Frage zu stellen und beginnt mit dem Staunen: So haben wir uns gewundert, mit wieviel unbedarfter Négligence die Nutzer ihre Individualität und Persönlichkeit an die Maschinen abtreten. Alexa regelt ihr Smart-Home, das autonome Auto fährt mit ihnen in der Smart-City: Doch die Autonomie ist ein Fake: Sie sitzen im Gefängnis der Maschine; autonom ist da gar nichts.

Sie fahren nach programmierten Sensoren, entlastet von Entscheidung und Verantwortung. Sie machen ihre Selfis und halten die Idole ihres Selbst für die auratische Erscheinung ihres Wesens: Die ‚Selbsttranszendenzç (Zuboff) als Glück steigt im umgekehrten Verhältnis zum Schwund-Ich im Rudel der Bilder. Sie kreieren in ‚Games‘ ihren Avatar, der als Über-Ich Alexa die Daten reicht. Das Schwarmhirn fühlt sich geborgen in der Herde. Die Identität sichert die Vielzahl der Klicks; als Follower sind sie virtuell mächtig. ‚Big Brother‘ ist zum „Big Other“ (Zuboff) geworden. - In der ‚Smart-School‘ steuert die soziale Schul-Cloud den virtuellen Lehrer.

Künstliche Intelligenz ist ein Etikettenschwindel

Der Computer ist in keiner Weise intelligent. Künstlich ist da allein der technische Entwurf des Programms. KI ist eine algorithmisch basierte Mustererkennung. Nur die Welt, die ‚gemustert‘ werden kann, findet in der Maschine ihre Abbildung und Umsetzung. Das Lernziel ist ‚alternativlos‘ (Schlink), denn es gibt nur „richtig“ oder „Dreck“ (‚dirt‘). Der Schüler folgt dem Programm. „Das Ich denke, das alle meine Vorstellungen begleiten können muss“ (Kant, KdrV 140b) fällt aus. Die Spontaneität des Ich, die Autonomie des eigenen Verstandesgebrauchs (Kant), wurden an das Programm der Maschine abgegeben. Wir erzeugen eine Kultur der Passivität, Empathie, Phantasie, lebendige Kommunikation und Spiel im Umgang mit dem Anderen: das leistet kein Programm.

Wir erziehen Digitaltrottel

Neurologen warnen: Wir erziehen „Digitaltrottel“ (Teuchert-Noodt), „Sozialautisten“ (Lankau) und eine „digitale Demenz“ (Spitzer). Ich als Nutzer bin nur ‚präsentisch‘, nur gegenwärtig. Erinnerung, Gedächtnis und Geschichte sind im Smartphone abgelegt. „Memoria“ galt dem Augustinus als Auszeichnung des Menschen. Der „Zweifel“ als Versicherung der Person (Descartes) kann gar nicht auftreten. Umgang mit dem Zufall ist nicht vorgesehen. Die Manager im Silicon Valley geben ihre Kinder darum gern in die Steiner-Schulen.

5G hat gentechnisches Gefährdungspotenzial und erzeugt oxidativen Stress. Die Elektrohypersensibilität ist Anzeige des Schädigungspotentials. In der Schweiz haben zwei Kantone die Einführung von 5G zurückgestellt; ebenso Brüssel, Genf, Florenz und Rom. In einer ‚Post–voting–Society‘ leiten die Tech-Interessen die Politik. Wir werden stillschweigend zwangsbestrahlt.

Erste Anregung zu unserem Erstaunen war die Tendenz, in Politik und Technik alles als „alternativlos“ zu bezeichnen. (Zuerst Margaret Thatcher: „There Is No Alternativ‘ = TINA). Nach der Recherche über die manipulative Systemsteuerung der Menschen als Datenträger und als Rechenfutter für gewaltige Konzerngewinne haben wir den Zusammenhang zwischen KI, Programm und Alternativlosigkeit verstanden.

Wie löst man sich von dem Fetisch der Programme?

Wie findet man Distanz, um selber zu denken? Die abendländische Philosophie hat  immer die Suche nach Wahrheit vor die Gewissheit gestellt, sie zu besitzen. Sokrates ist der beispielhafte Distanzkünstler und Virtuose der Ironie und des Spiels der Begriffe. Die epiphantische Wahrheit der Priester bringt er in eine offene, begriffliche Fassung. Die Annäherung geschieht über die Gegensatzpaare, durch ihre Wendung und Verschränkung im Bedeutungsfeld, das sprachlich ja erst zu schaffen war. Sokrates nennt seine Methode der Dialektik auch „spoudaious paizein“, also ein eifriges Spiel; Goethe nennt das seine „Ernsten Scherze“. Unsere Texte waren ‚Phaidros‘ ( 324d) und ‚Philebos‘ (28c). Sokrates führt seine Spielgenossen oft bis zu sechsmal auf einen Weg in die Sackgasse, um am Ende dann doch in einer Aporie zu landen. Wir sollen selber weiter denken! – Der große neuplatonische ‚Spieler‘ ist Nicolaus Cusanus. Sein ‚Globusspiel‘ haben wir nachgespielt und den Umgang von Zufall, Notwendigkeit und den Zusammenfall der unendlichen Peripherie mit dem unendlich kleinen Kreispunkt als Quelle der Wahrheit zu verstehen gesucht. Die Philosophie des ‚Spiels‘ (im Bild spielender Kinder) wird zur ‚geheimen Offenbarung‘ der hermetischen Alchemie und taucht in Kants ‚Kritik der Urteilskraft‘ und in Schillers ästhetischen Schriften prominent an die Oberfläche und geht ein in die Kulturtheorie. - Wir lesen die originalen Texte in Auszügen. Die ‚Anstrengung des Begriffs‘ (Hegel) wird gefordert, aber auch die Anforderung an die Aktivität der Leseleistung ist nicht gering.

Resonanz und Unverfügbarkeit

Um unsere Frage an die digitale Welt populärerer zu fassen, haben wir einen Workshop zum Digitalproblem auf der Grundlage von Hartmut Rosas Buch „Unverfügbarkeit“ durchgeführt. Seine Begriffe der „Resonanz“ und „Unverfügbarkeit“ sind leicht anzuwenden. Maschinen mit künstlicher Intelligenz können nicht „begehren“. Von Robotern ist
keine ‚Resonanz‘ zu erwarten (S. 92), sie „simulieren Resonanz“ (S. 55). Sie kennen keine ‚Berührung‘ der ‚Selbstwirksamkeit‘ (S. 39) des Partners, weil Empathie und die Wechselwirkung der Gefühle ausfallen. Würde, Achtung, die Menschenrechte, aber auch Leben und Tod sind unverfügbar. Wird Natur nur Profitobjekt und Nutzen, so „verstummt“ (S. 26) die Natur; ihre Antwort ist Wüstung ohne Resonanz.

Wir beenden die Einheit mit Schillers ‚Ästhetik des Spiels‘ in der ersten Sitzung am 07. November 2019 um 19.30 Uhr im Mitgliederraum und werden die ‚bildleitenden Verfahren‘ und das „wilde Denken“ als Phänomene der Gegenwart zu verstehen suchen.

 

Referent: Dr. R. Schönsee